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UNiMUT aktuell -- Juni 1998

Kleintierzüchter (2.6.98)

Es ist nicht einfach, in den öffentlichen Dienst der Bundesrepublik Deutschland zu kommen; ein Hindernis besteht in der Versicherung, nicht in einer ganzen Palette von mehr oder minder verfassungsfeindlichen Organisationen mitgearbeitet zu haben. In Bayern umfasst diese Liste neben zweifellos mindestens mit dem Teufel paktierenden Vereinen wie der DKP und der Church of Scientology auch den ehemaligen nationalen Kleintierzüchterverband der DDR, der als sozialistische Massenorganisation natürlich höchst suspekt ist.

Wer halbwegs geübt ist im Umgang mit Deutschen Behörden, unterschreibt den Zettel und vergisst ihn -- Pech, wenn für die Stelle eine Regelanfrage an den Verfassungsschutz gemacht wird und der was anderes sagt, aber wer wird schon eine Regelanfrage für KrankenpflegerInnen oder GermanistikdozentInnen vornehmen. Also: Kein Problem, alle unterschreiben das und alle sind glücklich.

Bis mal wer aus einem Land mit einer etwas ausgeprägteren demokratischen Tradition kommt (Demokratie verträgt sich durchaus mit Missachtung von Minderheiten, komme mir also niemand mit Inuit, d.A.). Dies ist der Uni Augsburg passiert, an der über das Canadian Studies Visiting Professors Program die Soziologin Patricia Marchak von der Uni British Columbia drei Monate lang lehren sollte. Marchak weigerte sich, das Papier zu unterzeichnen und wurde folgerichtig nicht eingestellt. Empört flog sie zurück nach Kanada und beklagte sich erstmal bei der zuständigen Abteilung des kanadischen Außenministeriums, dass von dieser Erklärung in den Unterlagen, die sie in Kanada erhalten hatte, nie die Rede gewesen sei. Das Ministerium fand das auch nicht ok -- nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Marchak wandte sich auch an die CAUT, eine Art kanadische Professorengewerkschaft, die sich wiederum beim Augsburger Rektor Reinhard Blum beschwerte. Aus Augsburg kamen aber nur Platitüden zurück ("die erste Beschwerde seit 12 Jahren"), und so trug die CAUT den Vorgang in ihren Newsletter, und der entsprechende Artikel geht seither um die Welt, forward für forward. Die CAUT versucht weiter, Druck auf Bayern und die Uni Augsburg auszuüben, diesen Unfug doch künftig zu unterlassen und hat auch schon an die kanadische Regierung geschrieben, sie möge sich doch überlegen, ob sie weiterhin an einem Programm teilnehmen will, das in dieser Weise mit Menschenrechten umgeht. Der Ausgang ist noch ungewiss.

Es ist interessant zu beobachten, wie sich auch hier die verqueren Ideologien der augenblicklichen Regierungen gegenseitig auf die Füße treten: Der Law-and-Order-Fanatismus eines Kanther und Stoiber drückt schwer die Globalisierungseuphorie von Westerwelle, Trotha oder Rüttgers. Bleibt zu hoffen, dass der vernünftige Gedanke -- diese Papierchen in den Altpapiercontainer der Geschichte zu werfen nämlich -- unter all den vielen Füßen nicht ein weiteres Mal zertreten wird.

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DON'T PANIC (4.6.98)

Gegen Ende der letzten Woche haben einige von Euch ein Schreiben von Herrn Behrens zugeschickt bekommen, darin sie gebeten werden sich bis zum 4.Juni an einem Anhörungsverfahren zu beteiligen. Der 4.Juni ist aber nicht etwa eine Ausschlußfrist für die Erhebung der Daten zur Berechnung des "Bildungsguthabens", sondern nur eine von Herrn Behrens bestimmte Frist in einem Anhörungsverfahren.

Dieses Anhörungsverfahren soll der Verwaltung die Arbeit erleichtern und Euch auf die Zustellung des Bescheides vorbereiten. Wer nun in dieser Frist (für einige sind es gerade zwei Werktage!) die Zusammenstellung der "prüfungsfähigen Urkundenbeweise" nicht bewerkstelligt, sollte die Mitarbeiterinnen des Studentensekretariats nicht unnötig belasten, sondern in Ruhe den Zahlungsbescheid abwarten und dann innerhalb der dort gesetzten Widerspruchsfrist Widerspruch einlegen. Dieser Widerspruch verzögert allenfalls die Rückmeldung, muß aber berücksichtigt werden.

Daher: wenn Ihr die von Herrn Behrens gewünschten Urkunden bis zum 4.Juni nicht beibringen könnt oder z.B. erst noch eine der angebotenen Beratungen in Anspruch nehmen wollt oder Euch anderweitig informieren wollt, wartet den Bescheid ab verzögert nicht durch unvollständige Unterlagen den Versand der Zahlungsbescheide. Bereitet bis zu deren Verschickung -- möglichst in Rücksprache mit Studiendekan, FachstudienberaterInnen und Eurer Sachbearbeiterin einen korrekten Widerspruch vor, der - wenn er begründet ist - berücksichtigt werden muß. Bedenkt: eine falsche Erfassung des Bildungsguthabens kann evtl. -- vor allem vor dem Hintergrund zu erwartender Klagen -- für Euch negative Folgen haben, daher nutzt alle rechtlichen Möglichkeiten und überstürzt jetzt in dem viel zu kurz angesetzten Anhörungsverfahren nichts! Völlig zu recht verweist Herr Behrens darauf, daß erst gegen den Bescheid Widerspruch eingelegt werden kann und erst nach einer Mahnung exmatrikuliert werden kann -- ihr habt also noch genug Zeit für eine konzentrierte Vorbereitung Eures Widerspruchs.

Wäre das versandte Anschreiben bereits ein Bescheid , wäre dort von einer Ausschlußfrist die Rede, eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt und eine Widerspruchsfrist gesetzt.

Die Formulierung "Sollten Sie den beiliegenden Anhörungsbogen nicht rechtzeitig zurücksenden, wird die Universität davon ausgehen, daß Sie die hier zugrundegelegten Daten als richtig und vollständig anerkennen." stellt nur klar, daß die Univerwaltung weiß, daß ein Teil ihrer Angaben falsch ist und sie vor dem endgültigen Bescheid die offensichtlichsten Fehler gerne ausschließen würde. Ansonsten ist die Formulierung völlig irreführend und eine der bekannten Panikmache-Aktionen von Herrn Behrens. In anderen Städten wurde die Anhörung bereits vor sechs Wochen durchgeführt. Mit der überstürzten Aktion hofft die Verwaltung vermutlich nur auf ein paar Tausender mehr und will die Betroffenen daran hindern, ihre Angaben in Ruhe zu durchdenken.

Nutzt die Zeit bis zum endgültigen Bescheid!
Beschwert Euch über die Panikmache und Irreführung durch die Verwaltungskader!
Sprecht mit Euren BeraterInnen und den Studiendekanen!

Weitere Informationen bei der Fachschaftskonferenz, Lauerstraße 1, Tel: 542456, Fax: 542457, email: fsk@urz.uni-heidelberg.de. Sprechzeit für diese Fragen: Di, 15-17 Uhr, Do, 11-13 Uhr und nach Vereinbarung, aber Ihr könnt auch einfach so mal vorbeischauen. Interessierte Studierende können sich auf der Mailingliste DM1000@fsk.uni-heidelberg.de einschreiben, indem sie einfach eine email mit dem Body (also Brieftext) "subscribe dm1000" an majordomo@fsk.uni-heidelberg.de schreiben.

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Menschenfresser bei Bild (9.6.98)

Im Zuge des Sieges der westlichen Freiheit über die kommunistische Barbarei hat sich die Berechnung der Opfer jener Barbarei in den neunziger Jahren zu einer Art Volks- oder Herrensport unter HistorikerInnen entwickelt. Angefangen von Berechnungen, die Stalins Herrschaft 20 Millionen Tote zuschrieben (Stalin <= Hitler) steigerten sich neokonservative AutorInnen über Stalin = Hitler zu Opferzahlen im Bereich von 100 Megatoten, was endgültig nachweisen sollte, dass Stalin und damit natürlich auch Marx viel schlimmer als Hitler waren. Der mit so viel Leidenschaft geführte "Historikerstreit" über die Einmaligkeit der Naziverbrechen schien (und scheint) vergessen.

Prominenter Teil dieses Diskurses (wenn mensch diesen Begriff nun verwenden will) war im letzten Jahr der Historiker Stephane Courtois in Frankreich mit seinem "Schwarzbuch des Kommunismus", das mittlerweile in deutscher Übersetzung erschienen ist und passenderweise von Springers Bildzeitung in Auszügen vorabveröffentlicht wurde (z.B. in Bild vom 27. Mai). Wer will und LeserIn ist, kann das Buch auch über die ultrarechte Intellektuellenzeitschrift "Junge Freiheit" beziehen. Mensch ahnt, die Freue über das Buch ist im politischen Spektrum etwas einseitig, was nicht zuletzt daran liegen mag, das Courtois' Recherchen und insbesondere seine Schlüsse unter etwas liberaleren HistorikerInnen alles andere als unumstritten sind.

Diese Vorgänge haben nun HistorikerInnen und PolitologInnen der Uni Münster angeregt, am 13. Juni ein Symposium mit dem Titel "Diktatur und Terror in der Geschichte der Sowjetunion. Anmerkungen zum Schwarzbuch des Kommunismus" zu veranstalten. Immerhin soll es dort neben der "Rolle von Diktatur und Terror" nach Aussage der Münsteraner Pressestelle auch um die "demokratischer und humanitärer Ideale in der Geschichte der Sowjetunion" gehen. Erstaunlich, dass in einem Klima, in dem Reagans Diktum vom "Reich des Bösen" fest in allen Köpfen verankert zu sein scheint, das mit den Idealen überhaupt erlaubt ist.

Die Veranstaltung findet am 13.6. von 9 bis 20 Uhr im Humboldt-Haus (Hüffnerstr. 61) in Münster statt und ist öffentlich.

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Mal wieder: Trotha in Heidelberg (10.6.98)

[Image: Ein Mittag mit dem Minister]
Links: Der bekannte Mercedes-Benz der Heidelberger Kriminalpolizei, Abteilung Staatschutz, war mit von der Partie -- wegen dieses Fotos drohte Kriminaloberkommissar Horsch unserem Fotografen, er würde die Kamera beschlagnahmen, wenn sein Auto nochmal fotografiert würde. Mitte: Immer regnet es, wenn mensch gegen Trotha demonstrieren will. Rechts: Trotha freut sich, im Dekanat der Neuphilologie auf seine Klienten (die Studierenden nämlich) zu stoßen.

Das Transparent, das extra zu Trothas Begrüßung am Schloss flattern sollte, war leider schon am Vormittag dem Ordnungssinn der HeidelbergerInnen zum Opfer gefallen, es regnete, und von Trotha war schon keine Spur mehr zu sehen -- böse Erfahrungen (etwa vor anderthalb Jahren oder später im Februar 97) hatten es dem Minister geraten erscheinen lassen, lieber etwas früher zu kommen und dann ungestört ins Rektorat zu gelangen. Pech für die Mahnwache aus Studierenden, die Trotha auch diesmal nicht ungestört durch Heidelberg flanieren lassen wollte.

Ja, der traditionelle Trotha-Regen (mensch könnte fast meinen, die Englein würden wirklich weinen, wenn der Minister kommt) -- ab 12 fiel er auf die mit Transpis vor der alten Uni stehenden AktivistInnen. Hässlich vom Hausmeister des Rekorats, auch in dieser doch recht deprimierenden Situation noch zu lügen (er tut das eigentlich immer) -- diesmal behauptete er, Trotha sei gar nicht drin und wolle erst gegen zwei kommen. Warum der Mann bei seiner wahrscheinlich schlechten Bezahlung immer wieder das Höllenfeuer riskiert, wird wohl auf ewig ein Rätsel bleiben.

Trotha war aber wirklich drin, hatte zwei Ministeriumsleute mitgebracht und verhandelte mit 11 NeuphilologInnen (davon immerhin 3 Studis) und dem Rektorat samt dessen Pressestelle über einen Brief, in dem sich die Neuphilologie über einige Merkwürdigkeiten beschwert hatte -- zum Hintergrund vgl. "Meckern lohnt (ein bisschen)" in UNiMUT 153. Zur Eröffnung motzte Trotha erstmal, der Brief sei völlig überzogen und falle ihm in aller Öffentlichkeit in den Rücken. Dementsprechend bemühte er sich tapfer, Absatz für Absatz der Neuphil-Klagen zu zerreißen. Überhaupt sei alles ungerecht, mit dem "Solidarpakt" hätten die Unis das Privileg, schon vorher zu wissen, dass ihnen 10% der Stellen gestrichen würden.

Damit war Trotha in seiner üblichen Litanei: Der "Bodensatz an Langzeitstudierenden" müsse aufgewirbelt werden, und er habe ja nun auch die politischen Rahmenbedingungen für ein schnelles Studium geschaffen -- womit er den Straftausi und die Verkürzung der Regelstudienzeit auf neun Semester meinte. Wie letzteres implementiert wird, bleibt allerdings den Unis überlassen, womit das Ministerium zum Nulltarif aus dem Schneider ist. Und in der Tat, ein Nachhaken bei den Regelstudienzeiten ergab, dass der Minister nicht so recht wusste, wovon er da redete. Er musste schließlich zugeben, dass auch das Ministerium mittlerweile die Notwendigkeit anerkennt, in verschiedenen Fächern über eine Rückverlängerung der Regelstudienzeiten zu reden.

Keinen Handlungsbedarf sieht Trotha hingegen in der Frage von Behinderten und den Langzeitgebühren -- alles Übel der Welt könne er nicht lösen (aber immerhin einen kleinen Teil davon verursachen, d.S.). Gleiches gilt in der Frage der Teilzeitstudierenden; zudem der arme Steuerzahler zwar Trothas Benz, aber nicht das Studium von Leuten, die nebenher arbeiten, "um den Lebensstandard zu verbessern" (was Trotha ihnen großzügigerweise gönnt) finanzieren kann. Wer nicht merkt, dass sich Trotha mit dieser Aussage entweder als Demagoge oder als Depp outet, darf jetzt nochmal lesen.

Locker aus der Affäre zog sich Trotha bei Klagen, ohne einen festangestellten Mittelbau gingen Professionalität und Kontiunität gerade in der Grundausbildung den Bach runter, nur mit Tutorien und Lehraufträgen sei eben auf Dauer kein Staat zu machen: Er, Trotha, habe die Stellenkürzungen ja nicht beschlossen. Überhaupt immer kam Trotha mit dem Tip, mit einem lokalen NC könnten die Probleme sowieso gelöst werden -- wie der NC allerdings mit den vorhandenen Ressourcen überhaupt durchzuziehen sein soll (Auswahlgespräche...) wusste der Minister auch nicht. Das hinderte ihn natürlich nicht, später wieder mit dem NC zu kommen. Ärgerlicherweise stellte sich Rektor Siebke hier wie fast immer (Stichwort Struktur der Fakultät) auf die Seite Trothas und kam schließlich nicht umhin, einen "Dissens" zwischen Rektorat und Fakultät festzustellen. Mensch sollte wahrscheinlich mal nachzählen, mit wie vielen Fakultäten Siebke mittlerweile eigentlich einen Dissens hat...

Eine Teilnehmerin hob gegenüber dem UNiMUT hervor, besonders positiv an dem Gespräch sei ihr aufgefallen, dass Lehrende und Lernende der Fakultät gemeinsame Postitionen vertreten haben und sich nicht spalten ließen. Trotha habe wie gewohnt geblockt (evtl. mit Ausnahme der Frage einer Verlängerung der Regelstudienzeiten) und sich ansonsten vielfach nur mäßig informiert gezeigt.

Nach dieser doch eher unerfreulichen Diskussion zogen sich einige erwählte Herren (Trotha, seine Ministerialdirigenten, Siebke und der Dekan, nicht aber eine Vertreterin der Studierenden) zu einem konspirativen Essen zurück und gingen anschließend zu Fuß (!) die 200 Meter ins Dekanat der Neuphilologie. Dort wurden sie von den Resten der Mahnwache aber schon erwartet, die nun nicht mehr mahnte sondern schlicht auf der Treppe saß und die Herren störte. Dies ärgerte vor allem den Dekan, während Trotha darauf hinwies, es sei unschicklich, fremde Leute zu berühren. Er nahm jedoch keine Stellung zur Frage, ob er sich von den DemonstrantInnen sexuell belästigt gefühlt habe.

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Auferstanden aus... (10.6.98)

[Image: Schloss]

In der letzten Nacht haben einige mutige BergsteigerInnen am Heidelberger Schloss ein Transparent angebracht: "Bildungsruine" stand und steht immer noch an der Wiege der Deutschen Romantik zu lesen. Die Aktion fand gerade heute statt, weil gegen Mittag die Abrissbirne der Baden-Württembergischen Bildungs- und Wissenschaftspolitik, Minister Trotha selbst, Heidelberg einen Besuch abzustatten gedenkt.

Bleibt die Frage, ob der Minister noch dazu kommt, die Bildungsruine anzusehen -- die Erfahrung lehrt, dass Transparente am Schloss meistens nicht lange hängen.

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Dieser Artikel wurde zitiert am: 24.03.2003

Allgemeine Begründung (27.6.98)

"SIE WURDEN IM MAI 1998 DURCH EINEN EDV-BRIEF DARAUF AUFMERKSAM GEMACHT, DASS DAVON AUSGEGANGEN WIRD, DASS SIE AB WINTERSEMESTER 1998/99 STUDIENGEBUEHREN ZAHLEN MUESSEN." Bestes Deutsch und ein wunderbarer Ausdruck des Uralt-Mainframes, der nur noch für die Verwaltung am Leben erhalten wird, dafür aber weder Umlaute noch Groß-/Kleinschreibung beherrscht, setzten knapp 6000 Studierende der Uni-Heidelberg heute davon in Kenntnis, dass Trothas Straftausi nun wirklich Realität ist. Im Bescheid (in der Tat ist dies wohl rechtlich einem Bußgeldbescheid äquivalent) heißt es, der/die EmpfängerIn sei verpflichtet, "DM 1.000,-- /EINTAUSEND DEUTSCHE MARK/ STUDIENGEBUEHREN BEI JEDER RUECKMELDUNG, ERSTMALS BEI DER RUECKMELDUNG ZUM WINTERSEMESTER 1998/99 ZU BEZAHLEN".

Eckhard Behrens, der den Bescheid unterzeichnet hat, liefert glücklicherweise zwei Seiten Erklärungen mit, die -- anbetrachts seiner Persönlichkeit -- überraschend zutreffend und luzide den weiteren Weg erläutern. Es ist nämlich keineswegs immer notwendig, Widerspruch gegen diesen Bescheid einzulegen, und nicht mal in jedem Fall empfehlenswert, da die Uni auch für den Widerspruch Gebühren (Überraschung!) erheben kann und, so ein Hinweis des Ministeriums, auch soll. Trothas Empfehlung folgend, kündigt Behrens an, ein Widerspruch werde wohl 60 Mark kosten. Ganz sicher ist das aber noch nicht, die FSK bemüht sich derzeit, die Studiendekane bei der Festsetzung der Gebühren mitreden zu lassen.

Widerspruch einlegen sollte vorläufig nicht, wer einen entlastenden Tatbestand vorweisen kann (vgl. Befreiungstatbestände im UNiMUT aktuell vom Mai 97 -- es steht auch einiges dazu im Behrens'schen Anschreiben). Zwar weiß wohl noch niemand abschließend, wer die Belege für diese Tatbestände wie auswerten will -- Behrens weist vorsichtshalber darauf hin, dass Stellungnahmen grundsätzlich in der Reihenfolge des Eingangs bearbeitet würden --, jedoch ist kaum davon auszugehen, dass fristgerecht (d.h. vor dem 17.7.) eingegangene Stellungnahmen nur deshalb unberücksichtigt bleiben, weil Behrens in der Hoffnung auf ein HRG mit Verbot von Studiengebühren das Verfahren so lange verschleppt hat, bis die Arbeitskraft seines Dezernats offensichtlich nicht mehr ausreichen konnte, um das Arbeitsvolumen zu bewältigen. Jedoch: Das allgemeine Chaos ist da, und keineR im "Carolinum" (so bezeichnet Behrens das CA in bewusst kursiver Schreibweise) ist im Augenblick um seinen/ihren Job zu beneiden.

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Öffentliche Abrechnung (29.6.98)

[Image: Siebke]

By appointment: Siebke unterbrach seine Rede, um dieses Foto zu autorisieren. Das wäre aber nicht nötig gewesen, Herr Rektor

Zum 39. Mal trat heute das einzige Gremium der Universität zusammen, dessen Sitzungen grundsätzlich öffentlich sind: Der große Senat, der immerhin groß genug ist, dass sich die Aula am Klausenpfad als Sitzungsort lohnt. Vor einem Publikum, das sich knapp an zwei Händen abzählen ließ, war heute vor allem der Rechenschaftsbericht des Rektors geboten, der relativ moderate Bericht der Frauenbeauftragten hingegen stieß nach rund zwei Stunden Debatte auf nicht mehr ganz so reges Interesse.

Zunächst muss mensch Siebke einen gewissen Lernprozess bescheinigen, war er doch bei weitem weniger ausfallend als noch bei seiner Wahl -- und gab auf Nachfrage auch gern zu, sein größter Fehler in dieser Amtzeit sei eine Fehleinschätzung der Presse gewesen. Dabei bezog er sich vermutlich auf seinen recht peinlichen Anruf bei der RNZ, der er zu Streikzeiten gern vorgeschrieben hätte, was die Heidelberger Öffentlichkeit über die Universität lesen darf und was nicht. Allerdings hat Siebke seine Grenzen: Kickser, Stotterer und Freud'sche Versprecher (Wirtschaftsministerium statt Wissenschaftsministerium) sorgten für die Unterhaltung des Publikums, gelegentliche Grobheiten ("Wenn Sie dann [im nächsten Jahr] noch Mitglied der Universität sind..." gegen eine "Langzeitstudierende", für deren Studiengebühren der UNiMUT demnächst eine Spendenaktion starten wird) für Empörung.

[Image: Kirsten]

Dieser Mensch soll, so wünscht sich Siebke, nächstes Jahr nicht mehr gute Fragen im großen Senat stellen können.

Inhaltlich gab es nicht viel Neues, sinkende Studierendenzahlen führte Siebke auf die abschreckende Wirkung von Rückmelde- und Langzeitgebühren auf Rückmelder- und OrtswechslerInnen zurück, mit etwas Stolz berichtete er von 6200 verschickten Anhörungsbögen im Zusammenhang mit den Langzeitgebühren. Ebenfalls selbstzufrieden stellte er fest, dass Heidelberg die Ideen des HSK-Papiers größtenteils schon vorauseilend umgesetzt habe und deshalb in dieser Richtung nicht viel Handlungsbedarf bestehe. Differenzen zwischen ihm und der HSK bestünden lediglich in Sachen Streichung des EWS (da will Siebke einen "deutlichen" Brief schreiben), der Verlegung des IÜD in die FH sowie in der Problematik der Master/Bachelor-Studiengänge -- bei letzterem, so Siebke, "führt uns eine einfache Ablehnung nicht weiter", denn massiver politischer Druck könne so einfach nicht ignoriert werden.

Die Aussprache über den Rechenschaftsbericht gestaltete sich überraschend lebhaft. Erwartet nichtssagend zunächst die Stellungnahme von Siebkes Wahlliste Ruperto Carola in Gestalt des Dekans der Medizinischen Fakultät, dem nichts Besseres einfiel, als die Knappheit des Rechenschaftsberichts zu loben (was der Redakteur nicht ganz nachvollziehen kann: Trotz größerer Schrifttype als in den Ulmerjahren dürfte allein der Übergang von A5 auf A4 bei weitgehend unveränderter Seitenzahl einiges an Platz geschaffen haben) und anschließend zu fordern, in Zukunft das Uni-Bauamt aus Bauvorhaben rauszuhalten. Nicht, dass das Uni-Bauamt viele Freunde hätte, aber dass zu diesem Rechenschaftsbericht mehr zu sagen war, zeigten nicht nur die studentischen Mitglieder des Großen Senats.

Die stiefmütterliche Behandlung der Lehre (das Wort fällt zum ersten Mal auf Seite 13) oder das erneute Totschweigen des ZSW, Ungereimtheiten in Einzelfragen, eine allzu große Zurückhaltung des Rektorats, Stellung zu beziehen (zumindest wären diese Stellungen dann angreifbar...): viel Kritik wurde geübt in der Debatte -- mehr zu den verschiedenen Beiträgen der FSK-VertreterInnen (und anderer) sowie Siebkes (Nicht-) Antworten wird bestimmt im nächsten UNiMUT zu lesen sein.

Bemerkenswert jedenfalls, dass ziemlich kritische Worte auch von Professoren kamen. Ein in der Initiative organsierter Pädagogikdozent kritisierte, Studiengebühren stellten den Abschied von der Errungenschaft einer durchweg staatlich finanzierten Ausbildung dar, und ein Hybridmodell aus staatlicher und privater Finanzierung, wie es gerade eingerichtet werde, sei auf jeden Fall unsinnig -- und auch in der Bachelor-Frage warne er vor unüberlegtem Import von Modellen aus Angloamerika in ein System, das dadurch bestimmt nicht besser werde. Der geschäftsführende Direktor der RomanistInnen beklagte, der Druck auf die Studierenden sei mittlerweile so groß, dass nur noch halb so viele Anträge auf Erasmus-Stipendien für ein Auslandssemester eingegangen seien wie im letzten Jahr und er -- nicht nur deshalb -- große Sorge habe, dass mit den Gebühren ein guter Teil der kulturellen Funktion der Uni verloren gehen könne.

Der Kritikpunkte waren noch mehr, auch aus dem Mittelbau, und hinterließen insgesamt den Eindruck, dass Siebke seine Uni weit schlechter unter Kontrolle hat als noch Ulmer -- was angesichts seiner Persönlichkeit nicht zu überraschend ist. Ob der versammelte Unmut ausreichen wird, Siebke noch vor dem Ende seiner Amtszeit aus dem Rektorenstuhl zu verdrängen, bleibt dennoch zweifelhaft. Zumindest die einflussreiche Ruperto Carola scheint noch hinter dem Rektor zu stehen. Aber vielleicht gärt es ja dort auch schon hinter den Kulissen, und Corpsgeist ist der einzige Kitt zwischen Siebke und seiner Liste? Doch selbst wenn: Dieser Kitt ist stark.

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Druckfassung

Erzeugt am 29.06.1998

unimut@stura.uni-heidelberg.de