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Ein Fortsetzungsroman über eine Kurklinik der Weltklasse. Folge 20Was bisher geschah: Die Reform der Klinik an Haupt und Gliedern wird, das ist bereits seit einigen Folgen klar, so manches Opfer fordern. Doch wer werden diese sein? Sicher ist, dass jene dazu gehören werden, die die Klinik auf der Suche nach Linderung ihrer Leiden aufsuchen, ebenso wie jene, die ihnen dabei beistehen. Ob allerdings der Dampf von Benzin, den die Chefärzte einatmeten, ihren Gesundheitszustand wirklich beeinträchtigen wird oder ob des Klinikdirektors Stuhl oder Leib wirklich in Gefahr sind, das möchte niemand voraussagen. Folge 20. Etwas liegt in der Luft, etwas, das auch im schwachen Hautgout von Farbe -- Flur und Vorzimmer wurden gerade in den Klinikfarben senfgelb und päonienrot gestrichen -- fast greifbar ist. Prof. Dr. Widderling, Direktor der Klinik, genießt einen der wenigen Augenblicke, die er für sich alleine hat. Die schwere Eichentüre, die seinen schönen Geist sonst vor Not und Elend der Welt draußen sicher beschirmt, steht offen, nur die leichte äußere Türe ist geschlossen. Widderlings Gesicht verzieht sich leicht, als seine Hand seine Schulter berührt, doch verliert auch nicht für einen Wimpernschlag die Contenance. Die Disziplin dieses Mannes scheint unbeugsam, zumal auch sein Haupt schmerzt. Unangenehme Erinnerungen melden sich an der Schwelle zu seinem Bewusstsein. Ihm ist, als stünde eine Meute bellender Hunde vor ihm. Statt Zungen hängen Kettensägen aus ihren geifernden Mäulern, funkelnde Augen, blutunterlaufen, Gebell -- ein Traum? eine Halluzination? verdrängte Erinnerungen? Oder doch nur ein Nachklang der letzten Sitzung des Klinikrates? Die Gedanken des Direktors verlieren sich im wohligen Halbdunkel des Zimmers. Der Anblick des Kamins, ein Zeichen von Kontinuität und Autonomie, glättet sein Gemüt, lässt die Last der Verantwortung weniger schwer auf seine wunden Schultern drücken, auch und gerade weil er der Jahreszeit entsprechend nicht in Betrieb ist. Doch auch die Stille der Stunde vermag nicht, Widderlings Herzen ganz von jenem unbestimmten, nichtsdestotrotz aber nagenden Gefühl zu befreien. Ein Klingeln reißt ihn jäh aus seinen Gedanken, hört gleich wieder unvermittelt auf. Aus dem Vorzimmer dringt leise das Murmeln des Anrufbeantworters, die Stimme seiner treuen Sekretärin -- wie war doch gleich ihr Name --, die zuverlässig alle lästigen Anfragen abwimmelt, Tag und Nacht. Hellwach fährt der allzeit bereite Klinikdirektor hoch. Auch er muss präsent sein wie ein Anrufbeantworter, auch er muss eine Botschaft haben, die die Menschen Tag und Nacht anspricht. Widderling sitzt aufrecht. Er wird ein Fanal setzen, er wird allen beweisen, dass es einen Plan gibt. Vom kränksten Patienten bis zur überarbeitetsten Pflegekraft, von der Gesundheitsministerin bis zu den Leichen im Kühlraum, er wird es ihnen zeigen: es gibt einen Plan. Und er wird ihn nicht nur schreiben, er wird ihn auch verfolgen! Beschwingt erhebt er sich, schreitet wie elektrisiert zum Schrank, greift zum Cognac für besondere Anlässe. Es ist bereits dämmrig, doch der Cognac funkelt im Widerschein von Widderlings Augen. Schnell liegt das Büttenpapier, sonst reserviert für Kondolenzbriefe an die Angehörigen von Privatpatienten, bereit. Mit sicherer Hand notiert er auf die Mitte des Papiers, den edlen Füllfederhalter wie ein Skalpell führend: "Konzept-Papier". Er sieht die Lokalzeitung vor sich, der Hinweis auf der Titelseite "Exklusiv-Interview mit Prof. Dr. Dres. Widderling zum Konzept-Papier". Das ganze Land wird es lesen: Das Kurhotel meldet sich machtvoll zurück in einer Domäne, die es schon immer bestimmt hat. Wenn jemand das Gesundheitssystem durchschaut, nein durchdrungen hat; wenn jemand, jenseits aller modischen Pflegerei noch Krankheit und Gesundheit als Kernaufgaben einer modernen Klinik im Blick hat -- dann eben das Kurhotel, und damit natürlich in allererster Linie er, Professor Doktor Widderling. Er spürt bereits die bewundernden Blicke der Kollegen im Klinikrat, der Pflegebeauftragten, dankbar, dass das Wort Pflege einmal in einer Überschrift auftaucht. Der Patientenbeauftragte, klar, der wird wieder irgendwas zum Rummäkeln finden, vor allem an den Gebühren für Heizung und Licht, träumt immer noch von der Klinik als Wärmestube. Widderling wird ihn ins Cafe Titanic einladen. Ihm Sondermittel für ein Vollbad alle drei Wochen in Aussicht stellen und auf die Möglichkeit seiner Verlegung auf ein 8-Bett-Zimmer... Das dürfte reichen für eine Enthaltung. Oder die Zustimmung? Zu später Stunde gleitet, nein schwebt, Widderling aus seinem Büro, ein verklärtes Lächeln auf seinem Gesicht. Die letzten Details waren die entscheidenden, zeigen sie doch in besonderer Weise das herausragende Profil des Kurhotels. Nun liegt es auf Widderlings Schreibtisch: Das Konzept, das die Klinik im dritten Jahrtausend prägen wird. Es muss nur noch im Klinikrat durchgestimmt werden -- das "Koncept-Papier des Klinikums Kurhotel Kurfürst Karl". Hält das Koncept-Papier, was es verspricht? Oder hatte Widderling noch einmal Glück und die Tinte war nicht lichtecht? Und wie wird die Öffentlichkeit reagieren? Ach -- weil das eigentlich ohnehin alles nur Mumpitz ist, können wir die Fragen auch gleich beantworten: Nein, das Koncept-Papier kam bei vielen Beschäftigten der Klinik als "Mischung von bizarrer Lachnummer, wüster Drohung und frecher Lüge" an. Nein, Widderling hatte kein Glück und das Papier wurde weit gestreut. Und schließlich: auch im Departement zur Findung von Exzellenz im Gesundheitswesen (DFEG) wurde das Koncept-Papier zu Konzeptpapier für eine ungenannte Sachbearbeiterin. Versäumen Sie nicht die weiteren Folgen unseres aufregenden Fortsetzungsromans -- demnächst an dieser Stelle. Und schwelgen Sie im Zauber vergangener Zeiten in unserer Zusammenschau der Geschichten im Hotel. |
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Erzeugt am 19.10.2006
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