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UNiMUT aktuell: Studis verlieren

Die Treuhandkonto-Aktion zum Boykott der Studiengebühren ist gescheitert

Studis verlieren (16.07.2003)

Uni Freiburg 2694
PH Freiburg 1058
Uni Heidelberg 643
Uni Hohenheim 104
FH Karlsruhe 412
Uni Karlsruhe 833
Uni Konstanz 297
FH Konstanz 195
FHS Mannheim 59
Uni Mannheim 307
Uni Stuttgart 394
Uni Tübingen 950
Uni Ulm 902

Gestern war landesweit Stichtag für die Treuhandkonten: 22000 Studis hätten auf die diversen Treuhandkonten einzahlen müssen, damit ein Boykott der neuen "Verwaltungsgebühren" hätte stattfinden können -- genau genommen hätten an den verschiedenen Unis noch separate Quoren erfüllt sein müssen, aber das spielt angesichts der tatsächlichen Zahlen keine Rolle mehr. Landesweit hatten gestern 7887 Studis ihren Willen zum Boykott ausgedrückt, in Heidelberg gerade mal 643. Die restlichen Stände von gestern könnt ihr der nebenstehenden Tabelle entnehmen, die wir von der landesweiten Boykottseite übernommen haben.

Damit wurde nur an der PH Freiburg ein lokales Quorum erreicht, die meisten anderen Unis sind irgendwo im Bereich von 10% ihrer Quoren. Auch wenn die meisten Quoren utopisch hoch angesetzt waren -- in Heidelberg lag das lokale Quorum bei 6500, womit sich über 50% der "Normalstudierenden" für einen Boykott hätten entscheiden müssen --, ist dieses Ergebnis doch eine gewaltige Niederlage für die Studierenden. Es ist nicht schwer, Frankenbergs Gedanken angesichts der Zahlen zu erraten: "Ah, von Protestpotential kann da wirklich keine Rede sein. Auf zu neuen Ufern!" Die großspurige Äußerung von Frankenbergs Vorgänger Trotha, er rechne bei der Einführung seiner Rückmeldegebühren "nicht mit Widerstand" kann sich Frankenberg offenbar mit mehr Recht und Zuversicht zueigen machen.

Die Gründe für diese auch im Vergleich zu vor sechs Jahren wirklich magere Beteiligung sind vielfältig; das Durchpeitschen des Gesetzes im Turbotempo, das nicht nur den Hochschulen Probleme bereitete und Studis wie AktivistInnen wohl etwas überraschte, mag eine Rolle gespielt haben, zumal die offiziellen Zahlungsaufforderungen erst recht spät verschickt wurden und dann zu allem Überfluss auch noch der Rückmeldetermin von Uniseite verlegt wurde, als es zu spät war, die neuen Verhältnisse beim Treuhandkonto zu berücksichtigen. Vielleicht haben auch die wüsten Drohungen des Herrn Frankenberg den einen oder die andere Studi verschreckt, vielleicht war sogar die Behinderung unserer Propaganda erfolgreich. Sicher fatal war, dass viele Fachschaften, so überhaupt noch handlungsfähig, nur mit sehr wenig Einsatz dabei waren -- wenigstens vor der Triplex-Mensa war nur ausnahmsweise mal etwas von der laufenden Aktion zu merken. Und der AK Treuhand selbst war schlicht zu klein, die Arbeit, die zentral hätte gemacht werden müssen, lastete auf zu wenigen Schultern.

Die größte Hürde allerdings war in den Köpfen der Studierenden; selbst bei einer so relativ risikolosen Aktion stapelten sich Bedenken über Bedenken, denn niemand wollte riskieren, "ein Semester zu verlieren". Es ist geradezu grotesk, wie sich der in den neunziger Jahren sukzessive aufgebaute Druck auf die Studierenden gegen die Handlungsmöglichkeiten im Widerstand gegen die weitere Erhöhung dieses Drucks auswirkt. Studierende, die auf Leistung, schnelles Studium, reibungsloses Funktionieren getrimmt wurden und die mit einer permanenten, wenn auch latenten, Angst vor dem Nichtfunktionieren leben, die soziale Verantwortung als Existenzrisiko begreifen, so zugerichtete Studis taugen nur schlecht als widerständige Subjekte, so sehr auch ihre ureigenen Interessen berührt sind. Und selbst die, die zum Risiko bereit waren, zauderten zu lange, wie schon beim letzten Mal wuchs der Zuwachs der Zahl der EinzahlerInnen gegen Ende der Aktion rapide (und das ist so gemeint).

Aber letztlich reflektieren die Vorgänge an den Hochschulen nur die Situation der Gesellschaft als Ganzes. Das Scheitern des Streiks für die 35-Studen-Woche in der Metallindustrie vor gerade mal einem Monat ist hier das Analogon. In ein paar Jahren mag es als ähnlich einschneidendes Ereignis verstanden werden wie das Niederringen der Bergarbeiter durch Margaret Thatcher Mitte der 80er Jahre. Damals wurde der Weg frei für einen vorher für unmöglich gehaltenen Schub von neoliberalen "Reformen" im Vereinigten Königreich. Die Ergebnisse lassen sich gut an den Konsequenzen der Privatisierung der Wasserversorgung illustrieren: Preise um 100%, Fälle von Hepatitis A um 200%, Fälle von Ruhr um 600% gestiegen. Es spricht nicht für, sondern gegen diese Politik, dass sich die Verhältnisse durch Re-Regulierung teilweise wieder etwas gebessert haben, denn es war gerade die erzwungene Abkehr von allzu fundamentalistischem Liberalismus, die geholfen hat, erzwungen durch das zu offensichtliche Nichteinlösen von Versprechungen von sinkenden Preisen und besserer Versorgung. Allzu skandalöse Entwicklungen kann eben auch der beste Wurlitzer nicht schönreden.

Wie es in der Gesamtgesellschaft auch immer aussehen mag: Der Umbau des Hochschulsystems in Baden-Württemberg gemäß angeblich liberaler Ideologie jedenfalls hat am 15.7.2003 einen gewaltigen Schritt nach vorne getan. Die Studierenden haben für dieses Mal dokumentiert, dass sie im Augenblick zu ernsthaftem Widerstand gegen freche Zumutungen nicht in der Lage sind.

Das muss aber nicht so bleiben. Schon jetzt ist aus Kreisen des AK Treuhand zu hören, dass es im Winter einen weiteren, besser organisierten Versuch geben soll, und steter Tropfen mag den Stein höhlen. Wenn zudem bis zum Winter klar sein sollte, dass weitere Studiengebühren kommen, mögen mehr Studierende bereit sein, ihre Angst zu vergessen und den Kampf gegen die Kommerzialisierung der Hochschulen aufzunehmen. Bis dann bleibt nur, den AktivistInnen des AK Treuhand für ihren Einsatz zu danken und ihnen viel Glück fürs nächste Mal zu wünschen.

Nachtrag (18.7.2003): Bis Mitternacht des 17.7. sind schließlich noch 713 Überweisungen aufs Treuhandkonto eingetrudelt; mensch darf davon ausgehen, dass damit alle Überweisungen, die vor Ablauf des Quorums in Auftrag gegeben wurden, erfasst sind. Die Weiterüberweisung der Einzahlungen an die Uni soll am Montag stattfinden.

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Dieser Artikel wurde zitiert am: 05.12.2003, 03.01.2004


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Erzeugt am 16.07.2003

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